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Beitrag vom 12.09.2007
Vielfalt statt Einheit – Diversity Management in Unternehmen
Dr. Nicola Schuldt-Baumgart
Charta der Vielfalt. Soviel ist sicher, der demografische Wandel und die Internationalisierung der Wirtschaft treffen den Global Player ebenso wie den kleinen Handwerksbetrieb von nebenan...
...Hier wie dort werden die Belegschaften der Zukunft weiblicher, älter und internationaler. Bislang sind es aber vor allem Großunternehmen und Niederlassungen amerikanischer Unternehmen, die auf diese Veränderungen reagieren. Diversity Management (DM) heißt das aus den USA stammende Managementkonzept.
In den meisten Unternehmen umfasst DM die sechs Kerndimensionen Alter, Geschlecht, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Religion und Behinderung, die auch in dem 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannt werden. Das Selbstverständnis von DM geht aber über eine bloße Antidiskriminierungspolitik hinaus. Individuelle Unterschiede werden als wirtschaftliche Chance betrachtet und nicht mehr als bloßes Mittel der Hierarchisierung. Das hinter dieser Sichtweise stehende Kalkül ist einfach: Unternehmen, die die Individualität eines Menschen anerkennen und fördern, haben am Markt klare Vorteile. MitarbeiterInnen, die sich nicht verbiegen müssen, arbeiten kreativer, zufriedener und motivierter. Entsprechend gering sind Fehlzeiten und Fluktuation in diesen Unternehmen. Auch für das Image ist DM eine gute Sache. Viele BewerberInnen und KundInnen fühlen sich eher von Unternehmen angesprochen, in denen allein erziehende Mütter, homosexuelle Paare oder Väter in Teilzeit arbeiten und in denen behinderte MitarbeiterInnen die gleiche Wertschätzung genießen wie junge MigrantInnen oder ältere Menschen.
Dennoch habe Diversity nichts mit ´Sozialromantik´ zu tun, sondern sei ein ernst zu nehmendes Business-Thema, sagt Flora Ivanova von der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP). Bei der Deutschen BP, einem Vorreiter in Sachen DM, sieht man das ähnlich. "Um am Markt Wettbewerbsvorteile zu erzielen, wollen wir die talentiertesten Menschen weltweit für uns zu gewinnen. Dies ist die einfache strategische Logik, die hinter unserem Engagement für Vielfalt und Einbeziehung von Individuen steht", sagt Dorothee Vogt, Diversity Managerin beim Bochumer Energieunternehmen. Gemeinsam mit Daimler Chrysler, der Deutschen Bank und der Deutschen Telekom zählt die Deutsche BP zu den Erstunterzeichnern der von der Bundesregierung unterstützten "Charta der Vielfalt". Mit der 2006 ins Leben gerufenen Initiative verpflichten sich die mittlerweile mehr als 70 unterzeichnenden Unternehmen, ein faires, respektvolles und offenes Arbeitsumfeld zu schaffen, in das alle Mitarbeitenden einbezogen werden und das frei von Vorurteilen ist.
Wenn es um die Umsetzung von Diversity geht, setzen Unternehmen wie BP auf unterschiedliche Maßnahmen in den Bereichen Training, Netzwerkbildung und Kommunikation. Dazu zählen Gender Speak-Workshops, die bei ihren TeilnehmerInnen Verständnis und Wertschätzung für die Kultur des jeweils anderen Geschlechts fördern sollen, interkulturelle Trainings oder auch eine Einstellungspraxis, die für das Thema Diversity sensibilisiert ist. "Wer bei uns eine Führungsposition anstrebt, der muss die 55-jährige Personalmitarbeiterin südamerikanischer Abstammung genauso überzeugen können wie den 30-jährigen Marketingleiter aus England", erklärt Michael Schmidt, Personalvorstand von BP in Deutschland das Credo der Personalpolitik. Auch Mentoring-Programme gehören zum Repertoire von DM. Beim größtem deutschen Arbeitgeber, der Deutschen Post World Net (DPWN), setzt man schon seit 2002 auf dieses Instrument. "Zentraler Aspekt unserer Diversity Management-Strategie ist die Chancengleichheit von Frauen und Männern, damit wollen wir erreichen, dass Frauen die gleichen Karrierechancen haben wie ihre männlichen Kollegen", sagt Jürgen Driftmeier vom Diversity Department des Logistikkonzerns. Für ihre auf Chancengleichheit ausgerichtete Personalpolitik wurde die DPWN bereits mehrfach ausgezeichnet.
Nur wenige Unternehmen beziehen ausdrücklich auch die sexuelle Orientierung ihrer MitarbeiterInnen in das Verständnis von Diversity ein. Das amerikanische IT-Unternehmen IBM gehört zu diesen Ausnahmeunternehmen, und das bereits seit 1983. "Man hat erkannt, dass MitarbeiterInnen zufriedener sind und produktiver arbeiten, wenn sie ihre sexuelle Identität bzw. Orientierung am Arbeitsplatz nicht verbergen müssen", sagt Tina Knoll (46). Die Hamburgerin arbeitet seit 2004 als Systemprogrammiererin bei der IBM in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Albert Kehrer ist sie außerdem Sprecherin des deutschen EAGLE-Teams bei IBM. Dahinter verbirgt sich das weltweite Netzwerk von IBM-Angestellten zur Stärkung Schwuler, Lesben, Bi- und Transsexueller. Obwohl die gelernte Mathematikerin ihr Lesbischsein auch am Arbeitsplatz immer offen lebte, fühlt sie sich durch das Netzwerk besser integriert und stärker verbunden mit dem Unternehmen. Doch auch bei Big Blue hat der offene Umgang mit Schwulen und Lesben Grenzen. "Es gibt weltweit erst wenige "Out Executives", also Mitglieder der obersten Managementebene, die sich zu ihrer Lebensweise bekennen", sagt Knoll. Hier sei noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
DM steht daher vor allem für eines: Abkehr von einer Unternehmenskultur, die Abweichungen von dem lange gültigen Bild des typischen Arbeitsnehmers – Mann, Anfang vierzig, weiß – als persönliches Defizit wertet. "Einer der stärksten Hebel bei dieser Aufgabe ist eine überzeugend auftretende Unternehmensleitung", sagt Hans Jablonski, selbständiger Diversity-Berater und Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Diversity Management (IDM). Dem Management sollte klar sein, dass das Hinterfragen von Vorurteilen und Klischees Konflikte auf den Tisch bringt, die bislang verdrängt wurden. DM sei daher kein Schönwetterprogramm, aber ein für alle Beteiligten gewinnbringender Veränderungsprozess. "Auch MitarbeiterInnennetzwerke spielen bei der Umsetzung von Diversity eine wichtige Rolle, gerade wenn es darum geht, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen und Menschen von der Vorteilhaftigkeit des Konzeptes zu überzeugen," erklärt die Psychologin Annette-Susanne Hecker. Hier sollten sich Diversity-ManagerInnen und Unternehmensleitung überlegen, welche Vorteile MitarbeiterInnen von Diversity erwarten können und ihnen den dafür erforderlichen Veränderungsprozess auf der Basis dieser Analyse "verkaufen". "Das kann durchaus als ein unternehmensinternes Marketing für Vielfalt angelegt sein."
Weitere Informationen:
Charta der Vielfalt: www.charta-der-vielfalt.de
Die Deutsche Gesellschaft für Diversity informiert über Ziele, Definitionen und Inhalte des Themengebietes: www.diversity-gesellschaft.de
EQUAL, die aus dem Europäischen Sozialfonds geförderte Gemeinschaftsinitiative, erforscht Wege zur Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheiten von Arbeitenden und Arbeitsuchenden auf dem Arbeitsmarkt: www.equal.de